Klimagerechtigkeit und Pfingsten

Ein Beitrag der Klima-AG des Befreiungstheologischen Netzwerks

An Pfingsten feiern Christinnen und Christen traditionell das Fest der Kirche und das Wunder des Heiligen Geistes, der alle sprachlichen Grenzen überwindet (vgl. Apg 2,1-37). Von der Pfingstpredigt des Petrus bleibt häufig nur die Anekdote in Erinnerung, dass sich die Anhänger Jesu gegen den Vorwurf wehren mussten, sie seien früh am Morgen schon betrunken. (Apg 2,14f.). Pfingsten 2016 könnte das anders werden: Indem ein breites Bündnis an sozialen Bewegungen, NGOs und linken Gruppierungen die Pfingsttage als Protesttage für den sofortigen Kohleausstieg ausruft und zu Aktionen zivilen Ungehorsams einlädt, fordert sie die Kirchen, die diese Tage bisher mit ihrer Botschaft besetzt haben, heraus! Als befreiungstheologisches Netzwerk engagieren wir uns seit Längerem radikal für die Energiewende, waren in der Lausitz dabei und sagen: Die Klimabewegung aktiviert einen vernachlässigten Teil der Pfingstbotschaft und in Abwandlung eines berühmten Ausspruchs könnte es heißen: „Nicht jede Klimakämpferin muss Christin sein, aber jeder Christ muss Klimakämpfer sein!“

Gemeinsamkeiten zwischen der christlichen Pfingstbotschaft und den Forderungen der Klimabewegung sind der Aufruf zum Systemwechsel und der radikalen Buße (vgl. Apg 2,38), der prophetische Geist, der die Visionen der Jungen und die Träume der Alten, nicht aber den Profit der Etablierten zum Thema hat (vgl. Apg 2,17-21), sowie die Verwirklichung eines neuen Lebensmodells, das der sozialen Vereinzelung den Kampf um die commons entgegensetzt (vgl. Apg 2, 42-47; Papst: 39).

Um Teil dieser Bewegung zu werden müssen die Kirchen jedoch einen dreifachen Lernweg beschreiten:

i. Wider die neoliberale Verengung der ökologischen Krise

In einem vielfach zitierten Aufsatz zur ‚imperialen Lebensweise’ haben Ulrich Brand und Markus Wissen darauf aufmerksam gemacht, dass ein Kernproblem in der Debatte um die ökologische Krise darin zu finden sei, dass diese primär als Umweltproblem und nicht als umfassende gesellschaftliche Krise wahrgenommen werde (Brand/Wissen: 9). Dadurch, dass der soziale Charakter der ökologischen Krise unsichtbar gemacht werde, komme es zu marktförmigen und technischen Lösungen, die letztlich keine Überwindung der Krise leisten könnten (Brand/Wissen: 10). In dieser Kritik berühren sich die Politikwissenschaftler auch mit Positionen von Papst Franziskus in seiner ökologischen Enzyklika ‚Laudato Si’ (Papst: 21). Zu Pfingsten 2015 hatte der Papst seine mit Spannung erwartete erste Enzyklika vorgelegt, die in der Kritik unserer gegenwärtigen Produktions- und Konsummuster (Papst: 2) an die Botschaft von Evangelii Gaudium anschließt. In diesem Schreiben hatte Papst Franziskus so deutlich, wie bisher kein Papst vor ihm, davon gesprochen, dass die gegenwärtige Wirtschaft tötet. Mit Blick auf die weltweite Ökumene der Christ*innen lässt sich zeigen, dass das nicht nur die Position der katholischen Kirche ist, sondern von vielen Kirchen weltweit geteilt wird (vgl. Segbers/Wiesgickl).

ii.Wider die anthropologische Verengung der Bibel und deren Missbrauch als Legitimationsbasis für einen Extraktivismus

Vielfach findet sich in der westlichen Tradition der Hinweis auf den Menschen als Krone der Schöpfung und den vermeintlichen Herrschaftsauftrag des dominium terrae (Gen 1,26). Mit dieser Auslegungstradition haben die Kirchen jahrhundertelang auch ein Naturverhältnis legitimiert, das sich als Extraktivismus kennzeichnen lässt und in seiner Brutalität und Gedankenlosigkeit in den Braunkohlerevieren sichtbar wird. Nicht nur tiefenökologische und ökofeministische Ansätze sind sich darin einig, dass biblische Aussagen nicht anthropozentrisch verengt werden dürfen, sondern der Mensch vorwiegend als Mitgeschöpf in den Blick kommt. In den ausführlichen Bestimmungen zum Schutz des ökologischen Lebenszyklus und der Regenerativität (vgl. Dtn 22,4.6) wird ein Naturverständnis deutlich, das einem technisch-objekthaften Zugang diametral gegenüber steht. Selbst in den wichtigsten Erläuterungen zu Kerngedanken des jüdischen Gottesglaubens, der Sabbatruhe, tauchen neben den Menschen selbstverständlich auch Rind und Esel auf (vgl. Ex 23,12). Eine spezifische christliche Perspektive verweist darüber hinaus auf das eschatologische Versprechen, dass Gott alles in Allem ist (1 Kor 15,28) (vgl. Papst: 42).

iii. Befreit zum Widerstehen. Auf dem Weg zu einer neuen Spiritualität

Papst Franziskus weist auch auf die ethischen und spirituellen Wurzeln der Umweltkrise hin (Papst: 4). Als eine Kontrastfigur und Paten einer neuen Umweltspiritualität nennt er Franziskus von Asisi, den er als Mystiker und Pilger bezeichnet (Papst: 5). Damit macht er auch mit einer Einsicht ernst, die Dorothee Sölle gegen Ende ihres Lebens immer deutlicher formuliert hat: Individuelles Seelenheil, das die Schöpfung nicht befreit, kann nicht mehr ernst genommen werden (Sölle:146). In einer Zeit, die geprägt ist von der stetigen Beschleunigung der Lebenszyklen plädiert sie für eine „Beheimatung, die fremd macht in der Welt der Geschäfte und der Gewalt und insofern das Widerstehen vorbereitet“ (Sölle: 136).

AG Klimagerechtigkeit des BTN

Weitere Fotos der Aktionen am Pfingswochenende:

https://www.flickr.com/photos/133937251@N05/with/26991790045/

https://www.ende-gelaende.org/de/

https://breakfree2016.org/

Literatur:

Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2013): Sozial-Ökologische Krise und imperiale Lebensweise. Zu Krise und Kontinuität kapitalistischer Naturverhältnisse, in: Reader BUKO Gesnat Seminar, 5.-7. April in Meuchefitz, Wendland, 3-16.

Sölle, Dorothee (1999): Mystik und Widerstand. Du stilles Geschrei, München.

Papst Franziskus (2015): Enzyklika Laudato Si. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Rom.

Segbers, Franz/ Wiesgickl, Simon (Hg.) (2015): ‚Diese Wirtschaft tötet.’ Kirchen gemeinsam gegen Kapitalismus, Hamburg.