Interview mit Musa Dube

for English version: Interview Musa Dube (english)

„To push the boundaries“
Die vielen Geschichten der Bibel anerkennen

Musa Dube

Ein Interview mit Musa Dube

Musa Dube ist Bibelwissenschaftlerin aus Botswana. Im Sommersemester 2011 war sie im Rahmen eines Forschungssemesters an der Universität Bamberg zu Gast.

Das Interview wurde geführt von Bernhard Offenberger am 23.6.2011.

____________________________

Bernhard Offenberger: Ich möchte mit einer persönlichen Frage beginnen: Woher schöpfen Sie Motivation, welche Träume geben Ihnen Kraft?

Musa Dube: Es gibt sicher viele Träume und Inspirationsquellen. Ein Teil meines Antriebs zu schreiben kommt daher, dass ich meine Ausbildung in Großbritannien und den USA absolviert habe und dort das Gefühl dafür bekam, wie stark verwestlicht die Wissenschaft war und wie kolonisierend es sich anfühlte, in solch einem Postgraduierten Programm zu sein. Die Studienprogramme und Literatur waren für mich sehr ausschließend.

Einmal habe ich meinen Professor gefragt, warum es keine afrikanischen WissenschaftlerInnen im Programm gebe, und er sagte mir: Gut, wenn Sie mir eineN afrikanischen BibelwissenschaftlerIn nennen können, nehme ich die mit rein.

Daher ist es eines meiner Ziele, dass meine eigene Arbeit wirklich dazu beiträgt, afrikanischen Stimmen Gehör zu verleihen.

Ich wollte auch diese Erfahrung nutzen, eine Ausbildung hier gemacht zu haben und die Exklusivität und Kolonisierung darin zu entdecken. Ich zwang mich dazu, andere Fragen zu  stellen.

Die historisch-kritische Methode und ihr Fokus auf die Antike, antike Zusammenhänge und Kulturen waren für mich einerseits sehr nützlich, doch zugleich war sie ausschließend, da sie mir nicht erlaubte, über meine historische Erfahrung als kolonisierte Person zu sprechen.

Exegese war stark bestimmt als die Kunst, Sachen aus dem Text herauszuziehen, d.h. herauszufinden, was der Autor intendiert hatte.

Aber es gab keinen Raum für meine Fragen als kolonisierte Person, die die Bibel mit dem Kolonialismus kommen sah. Die Privilegierung der antiken Kontexte ist sehr nützlich und hat ihre Berechtigung, aber zugleich wirkt sie sehr kolonisierend. Was wir meiner Meinung nach brauchten, war, die verschiedenen Geschichten der Bibel anzuerkennen (…)

Ich erinnere mich noch daran, als ich in England war und über die historisch-kritische Methode gelernt habe und mich fragte: „Was zum Teufel ist das? Wie kann ich mit dieser Sache weitermachen?“ denn es erschien mir so sinnlos. Bis wir eine Stunde zu feministischen Studien hatten. Ich denke, dass das der erste erlösende Moment war, bei dem ich das Gefühl hatte, dass ich mit all dem weitermachen kann.

Der Feminismus sagte u.a.: Ich muss Wissenschaft von meiner eigenen Erfahrung aus machen. Meine Erfahrung ist nicht nichts. Sie ist ein politisches Faktum, das ich anerkennen muss, um Zugang zu den Texten zu haben und sie zu lesen – das war das erste erlösende Moment. Ich dachte, dass ich vielleicht etwas machen könnte, was die Themen meines Lebens anspricht.

Natürlich wurde mir im Verlauf meiner weiteren Beschäftigung mit feministischer Exegese zunehmend bewusst, dass ich immer noch ausgeschlossen war, dass meine Anliegen als Zwei-Drittel Welt Wissenschaftlerin, als Wissenschaftlerin mit einer kolonialen Geschichte, noch nicht beantwortet wurden.

Daher fing ich an, andere Fragen zu stellen. Ich bin sehr dankbar für das, was feministische Ansätze eröffnet haben. Aber ich fühlte, dass ich es noch weiter drängen müsste.

Als ich daher meinen Doktor machte, fragte ich: wie lese ich die Bibel, als Frau, die kolonisiert wurde. Ich behandelte Themen rund um das Patriarchat, aber auch um Kolonialismus. (…)

Meine Motivation liegt also darin, durch meine Erfahrung zur Wissensproduktion beizutragen und die Grenzen des Wissens auszuweiten indem ich Wissen produziere, das wirklich divers und repräsentativ ist für die Welt, wie sie ist in all ihren Diversitäten. Ich denke, dass wir eine Wissenschaft brauchen, die nicht so eng von einer einzigen Perspektive her definiert ist.

BO: In welcher Weise wurden Sie von anderen afrikanischen WissenschaftlerInnen und afrikanischen intellektuellen Bewegungen beeinflusst und wie sehen Sie afrikanische Wissenschaft heute?

MD: Eine der wichtigsten Bewegungen im afrikanischen Kontext, die mir viel geholfen hat, ist der Circle of Concerned African Women Theologians, der von Mercy Oduyoye ins Leben gerufen wurde. Als sie in den frühen 80ern merkte, dass sie nur unter männlichen Wissenschaftlern war und die Wissenschaft von der männlichen Perspektive definiert wurde, begann sie, andere afrikanische Frauen zu suchen, und ermutigte uns, unsere Religion aus anderen Perspektiven zu betrachten, wie sie das Leben von Frauen beeinflusst, und wie wir ein Wissen erzeugen können, das dem Patriarchat wirklich etwas entgegensetzt.

Als ich also meine Promotion abgeschlossen hatte, wurde ich sehr aktiv in diesem Circle of Concerned African Women Theologians und führte einige Zeit lang die Abteilung für Bibelinterpretation afrikanischer Frauen an.

Da versuchten wir andere Wege zu lesen. Wir versuchten, zur Exegese beizutragen, indem wir die Bibel als afrikanische Frauen und aus afrikanischen Analyseperspektiven lasen. Wir lasen die Bibel im Blick auf das Geschichtenerzählen, auf Weissagekunst, auf afrikanische Sprichwörter und Geschichten. Wir betrachteten auch die kolonialen Übersetzungen. Ein Thema dabei war, dass viele afrikanischen Sprachen ursprünglich kein Geschlecht bei den Namen der Gottheiten kannten. Als aber die Bibel während der Kolonialzeit übersetzt wurde, nutzten sie zwar die Namen der Gottheiten, die sie vorfanden, und die kein Geschlecht hatten, aber gaben ihnen ein Geschlecht.

Daher kämpften wir hart mit der Frage, wie wir eine Bibelübersetzung machen können, die nicht das Patriarchat in unsere Sprachen bringt. Denn oft haben wir bemerkt, dass die Menschen denken, dass diese Namen ursprünglich männlich waren.

BO: Wie geht es Ihnen im Allgemeinen mit dem was sie sagen und schreiben? Wenn Sie zum Beispiel feministische oder postkoloniale Theologie einbringen – wird das akzeptiert, in den Gemeinden oder im wissenschaftlichen Umfeld?

MD: Das hängt natürlich davon ab, wo und mit wem ich bin. Natürlich gibt es immer manche, die es akzeptieren und andere, die das nicht tun, aber ich habe das Gefühl, dass das mein Beitrag sein muss: die Grenzen ausweiten. Natürlich ist das mehr, als ich in meiner Lebenszeit tun kann, daher ist meine Arbeit nur ein Tropfen im Ozean im Vergleich zu dem, was noch gemacht werden muss. Die ganze Wissenschaft mit ihrer historischen Kritik wurde während der Kolonialzeit entwickelt und hat manchmal mit dem Kolonialismus zusammengearbeitet. Es wird daher eine lange Zeit brauchen. (…) Wenn die Wissenschaft sich dazu bekennt, dann können wir uns entgegenkommen und merken, dass die Welt interagiert hat, und dass diese Geschichte nicht weg ist und nicht vergessen werden kann, dass wir uns irgendwie fragen müssen, dass alles, was wir in unseren kleinen Ecken der Welt machen, gerahmt ist von der Geschichte – die moderne Geschichte hat uns alle geprägt!

Ob du Dritte-Welt-WissenschaftlerInnen liest oder nicht – du steckst schon im Rahmen der modernen kolonialen Geschichte.

In Wirklichkeit ist die Wahl, sie nicht zu lesen, schon ein Indikator dafür, wo du bist und stehst. Ich habe das Gefühl, dass ich bei vielen Sachen nicht die Wahl hatte, sie nicht zu lesen. Ich musste all dieses historisch-kritische Zeugs lesen. Und darüber hinaus, dass ich westlicher Philosophie ausgesetzt wurde, musste ich auch noch meinen eigenen Kontext finden und herausbekommen, wie ich lese.

In jedem Fall ermöglicht die Globalisierung ein wesentlich lebendigeres Bild davon, was schon da ist.

Wenn wir diesen Kontext, unsere gegenseitige Verbundenheit und unsere Verbundenheit mit den Strukturen dieser Welt, mit den Bewegungen, mit den Mächten und Ohnmächtigkeiten, dann müssen wir uns selbst über die Arten befragen, wie wir Wissen erzeugen, und wie dies mit den Strukturen von Macht und Machtlosigkeit in Zusammenhang steht.

BO: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Befreiungstheologie und Postkolonialer Theologie?

MD: Ich denke, dass die Befreiungstheologie einer der wichtigsten Diskurse war, um die Grenzen einer sehr eurozentrischen Wissenschaft auszuweiten. Bei ihrem Anfang in den späten 60ern wurde sie eine der ersten, die die Grenzen erweitert haben und auf ihrer eigenen Art von Wissenschaft bestanden, darauf, die Bibel in dem Kontext zu lesen, in dem wir leben. Daher war das Paradigma der Befreiung so extrem hilfreich in seinen Ansprüchen, dass wir die Bibel aus unserem Kontext heraus, aus unserer Gesellschaft heraus lesen, dass wir damit anfangen, unseren Kontext zu analysieren, auf unsere Bedürfnisse zu schauen, und dass wir dem Imperium widerstehen.

Und sogar der Anspruch, dass wir ein besseres Verständnis haben, als die historische Wissenschaft, weil wir in einer Realität leben.

Daher denke ich, dass die Befreiungshermeneutik, trotz aller Schwächen, die sich inzwischen herausgestellt haben, wichtig war und bleibt, als Teil einer Wissenschaft des Widerstandes.

Aber wie bei jedem Paradigma wurden inzwischen auch einige Löcher entdeckt: vor allem, wenn wir über Befreiungstheologie sprechen, stellen wir fest, dass sie sehr christozentrisch war. In Lateinamerika, wo es andere Religionen gibt, haben sie nicht über andere Religionen gesprochen. Außerdem war sie nicht immer sehr sensibel gegenüber Geschlechterfragen. Sie hat kaum darüber gesprochen.

Daher wird von postkolonialer Seite gesagt: Befreiungstheologie war hilfreich, aber es ist immer noch eine Kritik von innerhalb, von einem christlichen Standpunkt aus. Von einer Religion aus, die schon das Werkzeug der Herren war, zu wenig verbunden mit dem anderen, so dass sie in ihrer eigenen Artikulation sich nicht dazu bekannt hat, dass es andere Religionen, andere unterdrückte Gruppen gibt, die immer noch kämpfen. Sie hat sich nicht zu Kolumbus’ Geschichte und der ganzen Kolonisierung der Amerikas bekannt. (…)

Aber du weißt: im postkolonialen Kontext wird das ganze Bild viel komplexer. Viele Leute haben die Geschlechterthematik nicht berücksichtigt, aber es ist viel komplexer.

Befreiungstheologie wird zur Zeit wirklich herausgefordert, ihre Grenzen werden weiter ausgeweitet, sich dazu zu bekennen, dass sie vor allem von der Religion der KolonisatorInnen spricht, geschlechtersensibel zu werden, sensibel gegenüber anderen Religionen zu werden. Denn ein Teil dessen, was der Kolonialismus macht, ist, den Anderen zu unterdrücken.

Aber wir bekennen uns dennoch zur Befreiungstheologie. Und die Herausforderung für mich ist es, dass die Befreiungshermeneutik, so wie jede andere, neue Wege finden muss, um neue Fragen zu stellen, so dass ihre Grenzen, mit Unterdrückung umzugehen, ausgeweitet werden. Ich denke, dass es von innen Stimmen gibt, die das zu artikulieren beginnen; wie Lateinamerika seine kulturelle und religiöse Diversität wertschätzen kann, und nicht nur die Geschichte der aktuellen Unterdrückung erzählen, sondern auch die vom Zusammenwirken von  Kolumbus und Bibel.

Ein Vorteil des Postkolonialismus ist auch, dass es nicht nur im Bereich der Bibelwissenschaften stattfindet, sondern andere Felder, die über Kolonialismus forschen, verbindet. Dadurch hat es eine größere Anhängerschaft – es ist nicht nur Befreiungs-Theologie. Leute aus der Philosophie, der Literatur analysieren alle auf die postkoloniale Geschichte und den Hintergrund dessen, wie wir Wissen erzeugen und dies analysieren.

Aber ich würde ungern beide Ansätze in Konkurrenz zueinander stellen. Beide haben neue Perspektiven aufgezeigt, zu denken, zu lesen, die Welt zu konstruieren und zu imaginieren.

BO: Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie in diesem Forschungbereich?

MD: Ich würde einerseits gerne an Methoden denken: Methoden, die uns helfen, die Strukturen der Welt und die Verteilung von Macht zu verstehen. Aber, da ich selbst in einer oppositionellen Wissenschaftsposition bin, als Feministin und als Postkoloniale, würde ich andererseits daran denken, dass das, was wir tun, dabei helfen sollte, die Welt zu verändern.

Das ist der Punkt, an dem die Frage nach einer sozial engagierten Wissenschaft ins Spiel kommt. Wie das, was wir tun, wirklich einen Einfluss hat.

BO: Sie schreiben in dieser Beziehung viel über die Bedeutung von Allianzen, aber auch darüber, dass es wichtig ist, eine zu enge Form von Identitätspolitik zu überwinden. Welche Rolle spielt Identitätspolitik für Sie und welche Allianzen haben Sie im Blick?

MD: Für mich ist es wirklich wichtig, dass wir gegenseitig unsere Erzählungen teilen, auf unsere Erzählungen hören, unsere Erzählungen innerhalb der Geschichte weissagen. Weissagen bedeutet hier, dass wir unsere Lebensgeschichten innerhalb der Weltgeschichte lesen und analysieren und unsere Verbundenheit erkennen. Du magst hier sein und ich in Botswana, aber wir sind dennoch verbunden.

Ich habe neulich mit einem Mann gesprochen, der sagte: Deutschland hat doch nichts zu tun mit dem Kolonialismus.

Und ich erwiderte: Deutschland war wirklich eine Plage für Afrika. Die Afrika-Konferenz von Berlin 1884 wurde hier abgehalten, und ich denke, dass die Konsequenzen davon enorm waren. Aber die Deutschen denken immer noch, dass sie nicht involviert waren!

Die Frage ist: Wie fangen wir an, unsere Rolle in der Geschichte zu sehen, wie fangen wir an, anderen Erzählungen zuzuhören, unsere Geschichten zu weissagen, und andere Geschichten und Visionen zu bauen.

Als ich sagte, dass ich gerne in den USA bin, meinte ich das zum Teil, weil es dort immerhin eine Konversation gibt. Denn wenn wir nicht einmal eine Konversation haben, wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Geschichten zu erzählen, zu weissagen, zu diagnostizieren, und zu fragen, wo diese Geschichte in der Weltgeschichte verankert ist, wie sollen wir herausfinden, wo unser Platz ist?

Sehr oft, wenn ich mich im Wissenschaftsbetrieb bewege, merke ich, dass man uns zwingt, das zu reproduzieren, was es schon gibt. Die Tore werden sehr geschlossen gehalten, und es ist sehr schwer, die Tore zu öffnen, besonders wenn wir nicht in Konversation miteinander stehen.

Ich denke, dass Koalitionen da stattfinden, wo wir unsere Geschichten erzählen und empathisch sind mit dem was passiert, und da, wo wir eine Vision für Veränderungen haben.

Aber wenn wir an einem Ort sind, wo wir sehr zufrieden sind mit dem, was wir tun, und wo wir nicht auf die Geschichten von anderen hören wollen, wo wir nicht einmal unsere eigene Geschichte bestimmen wollen, keine neuen Fragen stellen – zufrieden sind mit den immer gleichen Fragen, mit den gleichen Leuten, die uns umgeben – dann werden Koalitionen schwierig, weil wir nichts zu tun haben wollen mit den Fragen, die andere Leute stellen.

BO: Wie setzen Sie all dies in der Praxis um? Könnten Sie ein wenig von Ihrer Erfahrung teilen?

MD: Ich versuche natürlich, viele Innovationen einzubringen, durch andere Arten zu lesen: Weissagen, Geschichten erzählen, Lesen mit ursprünglichen LeserInnen, was für mich eine bewusste, subversive Art zu lesen ist, die von westlicher Wissenschaft unabhängig macht. Anstatt auf westliche WissenschaftlerInnen zu hören, die dazu neigen, unsere Bibliotheken zu füllen, bitte ich meine StudentInnen, einen Bibeltext in die Gemeinden zu nehmen, und mit vier oder fünf Leuten zu lesen, und dann einen Essay darüber zu schreiben, wie die Leute an der Basis diesen Text lesen. Das hilft uns herauszufinden, wie die Bibel gelesen wird. Und es hilft uns eine Art von Wissenschaft zu vermeiden, die so exklusiv ist, dass sie gar nichts mehr mit den Gemeinschaften zu tun hat, dass wir sie nur in der Bibliothek lesen können und mit anderen Studierenden und ProfessorInnen diskutieren können.

[…]

Die Bibel zu lesen und zu interpretieren wurde bisher nur wahrgenommen als Aufgabe der ProfessorInnen, der gut ausgebildeten Leute. Aber all die anderen, die die Bibel lesen, lesen sie auch!

Wir müssen die Vorstellung dekonstruieren, dass es nur eine richtige Art gibt, die Bibel zu lesen.

Ein anderes Thema, mit dem ich mich beschäftige, ist, die Bibel im Blick auf die HIV/Aids-Problematik zu lesen. Ich habe viel dazu gearbeitet, die Bibel im Kontext dieser Epidemie zu lesen. Wieder einmal ist es eine Weigerung, die Bibel im antiken Kontext zu lesen, sondern sie in andere Kontexte, mit anderen Bedürfnissen zu platzieren.

Das bedeutet, sich mit den Anliegen meiner Gemeinschaft auseinanderzusetzen, anstatt Fragen zu stellen, die wieder und wieder gestellt wurden, die mich von meinen eigenen Angelegenheiten entfremden.

Ich habe das nicht nur auf wissenschaftlicher Ebene gemacht, sondern eben auch viel mit den Gemeinschaften. Wir haben ein Projekt namens „Africa Praying“ gemacht, wo wir versuchten, exegetische Wege zu gehen, die nicht für WissenschaftlerInnen sondern für Gemeinschaften bestimmt waren. Ich mache das auch im Klassenzimmer, so dass meine Lehre und mein Engagement mit den Gemeinschaften Wege sind, auf denen ich versuche, eine Wirkung in den Gemeinschaften zu erzeugen.

Außerdem reden wir über Geschlechterthemen und über die Bedeutung, die Texte auf eine Art zu lesen, die nicht erneut patriarchalisiert.

BO: Eine letzte Frage: Welche Herausforderungen möchten Sie uns, als Studierende in Deutschland, mit auf den Weg geben?

MD: Ich denke, es ist eine sehr gute Idee, dass ihr diese Bewegung habt und euch mit anderen Leuten, von außerhalb, in Verbindung setzt. Jetzt ist es wichtig, dass ihr euch öffnet, um die Geschichten von anderen zu hören, aber euch auch selbst erlaubt, eure eigenen Geschichten zu erzählen. Manchmal wollen wir nicht einmal unsere eigene Geschichte erzählen. Vielleicht erscheint sie als eine Geschichte von Privilegien. Aber auch die müsst ihr erzählen, ihr müsst in einer Position sein, dies anzuerkennen.

Als erstes würde ich euch dazu ermutigen, euch nicht darauf zu beschränken, nur europäische oder deutsche Wissenschaft zu lesen. Wenn ihr einen Bibeltext lest, z.B. wenn ihr Joh 4, die Samaritanische Frau lest, dann findet heraus, wie ein deutscher Mann, eine deutsche Frau diese Passage liest, wie eine afrikanische, eine asiatische Frau, wie ein Amerikaner. Gestattet euch, jeden Leseort als Teil einer internationalen Konferenz zu sehen, wenn ich das so nennen darf, bei der ihr jeder anderen Stimme Gehör schenkt, wo ihr all die anderen Stimmen an einen Tisch bringt und eine Konversation beginnt.

Wir können einen Austausch haben, selbst wenn wir uns nicht gegenseitig von Angesicht zu Angesicht sehen. Es ist leicht, nur von einem Ort aus zu lesen. Aber wenn du dir erlaubst zu hören, was eine Person aus Lateinamerika, Mann oder Frau, zu dieser Passage sagt, eine schwarze Person, eine Asiatin, ein körperlich behinderter Mann, dann haben wir ein Gespräch, das uns dann auch dazu befähigt zu erkennen, wie wir selbst einen Text lesen und warum.

Öffnet euch daher für dieses weltweite Gespräch, und öffnet eure Augen für die weltweite Geschichte der modernen Zeit, denn wir sind alle schon durch diese Geschichte konstituiert. Wir sind nicht außerhalb, sondern bereits innerhalb.

Wenn wir dies anerkennen und sehen, wer wir sind, dann können wir anfangen zu fragen, welche anderen Koalitionen wir eingehen können.